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 „Erinnert sich noch jemand?“ Diese Frage stand über unserem Bericht zum geheimnisvollen Fund eines Nikolaus-Glasfensters, das exakt in eine Fensteröffnung der Nikolauskapelle passt. Bei Günter Nuss von der Burg-Landeck-Stiftung, der sich auf die Spuren des gläsernen Heiligen begeben hat, klingelte daraufhin etliche Male das Telefon. Jetzt weiß man mehr – und doch sind längst nicht alle Geheimnisse des Fensterbilds gelöst.

Wie berichtet, hat Glasermeisterin Karin Histing, die den Bergzaberner Glasereibetrieb Krumholz übernommen hat, beim Aufräumen im Fundus dieser Traditionsfirma unter vielen verschiedenen Glaselementen das Nikolausfenster entdeckt. Sie fragte Vorbesitzer Krumholz, und der war sich gleich sicher: „Das ist von der Nikolauskapelle.“ Mehr wisse er darüber auch nicht; die Einlagerung sei wohl noch zu Zeiten seines Vaters geschehen. „Man kann nur spekulieren, was mit dem Fenster war“, meint Karin Histing. Es sei wohl beschädigt gewesen, wie man an einer kleinen Reparaturstelle erkenne, und sei vermutlich deswegen ausgebaut worden. Warum der Nikolaus dann im Glaserei-Lager jahrzehntelang in Dornröschenschlaf fiel, ist rätselhaft. Gab’s kein  Geld mehr für den Wiedereinbau? Wollte man mehr Licht in der Kapelle? Alles nur Mutmaßungen.

Karin Histing möchte das wertvolle Fundstück dem Bezirksverband Pfalz schenken, der Eigentümer der Kapelle ist. „Das Fenster kommt dort her und es gehört dort hin“, sagt sie, „ich fände es toll, wenn es bald wieder an seinem angestammten Platz wäre.“ Lediglich der Einbau und eine kleine Restaurierung sind zu finanzieren.

Was inzwischen feststeht: Das Nikolausfenster war mit Sicherheit in der Kapelle eingebaut. Auf einem verschwommenen alten Foto, vermutlich aus den fünfziger Jahren, ist das zu sehen. Auch einige Anrufer haben sich an den gläsernen Heiligen erinnert. Ebenfalls sicher ist, wer der Schöpfer des Kunstwerks war: Es handelt sich um Georg Brotzler (1892 bis 1970), Glaser und Künstler in einer Person. 1931 gründete er eine Glaskunstwerkstatt in Speyer. In der Domstadt ist übrigens auch ein „großer Bruder“ des Klingenmünsterer Nikolaus zu bewundern: Jedes Jahr in der Adventszeit wurde ein meterhohes Glasbild des Heiligen, das Brotzler im Auftrag der Stadt Speyer anfertigte, am Altpörtel aufgehängt. Im letzten Advent allerdings zog der große Nikolaus um in den Kulturhof an der Flachsgasse.

„Es ist traurig, dass Georg Brotzler heute fast in Vergessenheit geraten ist“, sagt Anke Sommer aus Wörth, die auf den Rheinpfalz-Artikel reagiert hat. Die Glasmalerin, Kunst- und Bauhistorikerin hat in ihrem Buch „Glasmalereien im Bistum Speyer. Leuchtende Zeugen christlichen Glaubens von der Romanik bis heute“ dem Künstler ein Kapitel gewidmet. Brotzler schuf zwischen 1931 und 1939 elf Glasmalereiausstattungen für Kirchen des Bistums Speyer, weitere 44 nach dem Zweiten Weltkrieg. Ungewöhnlich an ihm sei, dass er gleichzeitig Handwerker und Künstler war. Im Allgemeinen lassen Glaskünstler ihre Entwürfe von Fachhandwerkern ausführen. Georg Brotzler aber kannte sich in seinem Handwerk aus, entwarf nicht nur schöne Bilder, sondern hatte technischen Sachverstand und setzte etwa Bleiruten an der richtigen Stelle („Chagall hat das nicht gekonnt“).

 Anke Sommer charakterisiert den Künstler als „Vertreter der Kontinuität“. Zwar habe er durchaus moderne Strömungen aufgenommen, griff aber gleichzeitig auf alte Formen zurück. So erinnert sein Nikolaus in der spätromanischen Kapelle an statuenhafte Figuren aus jener Epoche, wie sie etwa im Augsburger Dom zu sehen sind.

Dass Georg Brotzler heute kaum noch im Bewusstsein von Freunden sakraler Kunst ist, erklärt sich die Kunsthistorikerin unter anderem damit, dass der bescheidene Mann seine Werke nie signiert hat. Sie habe einmal versucht, eine Brotzler-Ausstellung in Speyer zu organisieren, die aber durch den Tod eines Förderers nicht zustande kam.

In Sommers Buch sind zwei Skizzen aus dem Nachlass des Glaskünstlers für Fenster der Nikolauskapelle abgebildet. Neben dem „verschollenen“ Nikolaus handelt es sich um eine Abbildung der heiligen Maria Magdalena, die heute noch im steinernen Vierpass an der Westwand der Kapelle zu sehen ist. 1950 soll diese Verglasung eingesetzt worden sein. Beim Nikolaus ist kein Datum bekannt.

Noch eine Frage kann Anke Sommer beantworten: Was hat es mit den drei goldenen Kugeln auf sich, die der Heilige auf einem Teller oder Tablett trägt? Sie sind eine Anspielung auf die so genannte Jungfrauenlegende – eine Geschichte, die einem heute die Haare zu Berge stehen lässt: Einem verarmten Mann aus gutem Haus gelang es nicht, seine drei Töchter standesgemäß zu verheiraten. Da er nicht weiter für sie aufkommen konnte, sah er keinen anderen Ausweg, als sie zur Prostitution zu zwingen. Das erfuhr der junge Nikolaus, der gerade ein Vermögen geerbt hatte. Also warf er dreimal während der Nacht einen Beutel voll Gold in das Haus des Mannes, so dass der seine Töchter mit entsprechender Mitgift verheiraten konnte. Auf diese Legende, so Sommer, geht der Brauch zurück, am Nikolaustag etwas zu schenken.

Glasermeisterin Karin Histing wirft zwar nicht mit Gold, aber sie schenkt der Kapelle und allen ihren Bewunderern einen großen Schatz. Der Denkmalschutz hat den Wiedereinbau des Fensters genehmigt.